Wackelkontakt und Wespentanz
Mainzer Kunststudenten auf „blinkvideo.de“
von Sabine Maria Schmidt
Black-out, Systemabsturz, Wackelkontakt und Stromausfall sind die neueren Plagen des Smarttech-Zeitalters, die das Alltagsleben gänzlich aus dem Lot bringen können. Eva Bettags Video “Loose Contact“ (2011) inszeniert den Ritus der morgendlichen Toilette vor einem Spiegel in den Störfeldern technischer Irrlichter. Die defekte Neonröhre blinkt und flackert. Nicht nur Betrachter und die Protagonistin verlieren dabei unermüdlich den Kontakt zu ihrem Spiegelbild; das Video selbst wird zu einer Metapher über die Bedingtheiten von Bilderzeugung und –wiedergabe und Synonym eines schleichenden Realitätsverlustes.
Seit 2005 leitet der Videokünstler Dieter Kiessling die Klasse für Medienkunst an der Kunsthochschule der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Nun präsentiert die Videoplattform “blinkvideo” aktuelle Produktionen von 19 ausgewählten Studierenden und MeisterschülerInnen.
Kiessling, der 1986 sein Studium als Meisterschüler von Reiner Ruthenbeck an der Kunstakademie Münster abschloss, gehört zu der Generation von Videokünstlern, die Mitte der 80er Jahre mit skulpturalen Videoarbeiten und sogenannten Closed-Circuit-Installationen auf sich aufmerksam gemacht haben. Er nutzt den direkten, unmittelbaren Zugriff auf die technischen Apparate, um die unsichtbaren Voraussetzungen medialer Bilder und Phänomene sichtbar zu machen. Sein Frühwerk “Fallende Scheibe” von 1986 zeigt ein solch sich tautologisch generierendes Bild: Eine weiße Scheibe fällt auf einen schwarzen Untergrund und zerspringt. Nach wenigen Sekunden stürzt der Untergrund, nun eine schwarze Platte, auf eine graue Fläche und zerspringt ebenfalls. Videokunst als Forschungsfeld, das bedeutet bei Kiessling mit größtmöglicher Konsequenz, Präzision und Reduktion die technischen Bedingungen der Bilderzeugung in der Arbeit selbst sichtbar zu machen.
Es ist diese konzeptuelle Arbeitsweise, die bei aller Vielfalt der Positionen auch die Ergebnisse der Arbeiten seiner Studierenden prägt und verbindet. Experiment, Zufall und Poesie werden dabei nicht ausgeschlossen. Und ein radikaler Perspektivwechsel ermöglicht bisweilen auch Exzentrisches. So läßt Björn Drenkwitz einen Tenor den Wortlaut von 100 Popsongtiteln singen, die sich alle durch “Don’t do”- Anweisungen auszeichnen. Ebenso systematisch geht Eric Cusminus vor, dessen fiktionalisierte Vedute “Berlin im Frühling” aus dem Jahr 2009 hunderte Fotografien der Berliner Hauptstadt zu einer Stop-Motion-Animation verknüpft. Katharina Schlichter inszeniert in ihrem Kurzvideo “moi, moi, mmmoi, moi” von 2008, die ekstatischen Landeflüge einer Biene in dem unerschöpflichen Schlaraffenland eines blühenden Rapsfeldes.
Eine präzise Idee bzw. Fragestellung, eine pointierte Ausführung, die Ausgewogenheit der Mittel der No-Budget-Produktionen sind wichtige Kriterien für die Studentenarbeiten. Markus Walenzyks kurze und humorvolle Videoperformance “Akt eine Treppe herunterfallend”, spielt nicht nur an Duchamps legendäres malerisches Vorbild an, sondern reagiert auf das spezifische Treppenhaus im Schloß Balmoral, Schauplatz eines Ausstellungsworkshops der Kiessling-Klasse. An die Videoinszenierungen von Bruce Naumann erinnert seine Performance “Waxed” (2012) und geht zugleich darüber hinaus. Mehrfach taucht er sein Gesicht in flüssiges Wachs, bis ein Atmen kaum mehr möglich erscheint: eine lebendige Totenmaske. Den Umweg hin zum Genre des Portraits behandelt Miriam Wetzel, in dem sie Personen für ihre filmischen Portraitaufnahmen vorab mit Handlungsanweisungen ablenkt: so etwa ein Schlagzeug zu spielen (“Drum Drama”, 2007) oder einen Computerbildschirm auszumalen (“Untitled”, 2006).
Narrative Erzählstrategien finden sich in der Kiessling-Klasse seltener. Sandra Tröschs ironischer Werbeclip über die ‘schöne Geschichte des Staates Wisconsin’, erklärt anhand eines Käse-Souvenirs, fällt ebenso heraus wie die mit aufwendigen Requisiten und selbstgebauten Settings vorbereiteten surrealen Kurzdramen von Sarah Mock. Mock ist nicht nur Videokünstlerin, sondern ebenso Bildhauerin, Performerin und Zeichnerin. Die Verwurzelung im skulpturalen Denken kennzeichnet auch die Arbeiten von Lidwina Roth oder Stephan Wiesen und unterscheidet die Arbeiten der Kunststudenten darin deutlich von Kurzfilmen von Filmhochschul-Absolventen.
Artists presented in this show:
Eva Bettag
Eric Cusminus
Björn Drenkwitz
Sabrina Geckeis
Anna-Lena Gremme
Anne Hoffmann
Berit Jäger
Christoph Medicus
Sarah Mock
Lidwina Roth
Benjamin Schaefer
Katharina Schlichter
Johannes Stoll
Sandra Trösch
Judith Walz
Markus Walenzyk
Lisa Weber
Stephan Wiesen
Miriam Wetzel