Erfahrungen in einer sich extrem schnell wandelnden Gesellschaft sind Ausgangspunkt der Videofilme der drei estnischen Künstler, die blinkvideo in seinem aktuellen Special vorstellt: Ene-Liis Semper, Mark Raidpere und Jaan Toomik.
Der Blick ist auf das Detail gerichtet. Persönliche Erfahrungen in einer sich extrem schnell wandelnden Gesellschaft sind Ausgangspunkt der Videofilme der drei estnischen Künstler, die blinkvideo in seinem aktuellen Special vorstellt: Ene-Liis Semper, Mark Raidpere und Jaan Toomik.
Alle drei haben Estland jeweils auf der Biennale in Venedig vertreten und gehören heute zur Lehrergeneration der estnischen Künstler.
Ene-Liis Semper unterwirft sich in ihren ohne Publikum vor der Kamera durchgeführten Performances extremen Bedingungen, die sie nach vorgegebenem Konzept schonungslos durchführt oder mit sich geschehen lässt. In ihrer Biennale Arbeit „Licked room“ von 2001 reinigt sie den mit PVC ausgekleideten Ausstellungsraum des estnischen Pavillons vor dem Eintreffen der Besucher mit ihrer Zunge. Diese Performance wird später auf mehreren Monitoren im selben Raum ausgestrahlt.
Zwei Räume weiter wurde ihr in Großprojektion von Männerhänden eine Primel in den Mund gepflanzt („Oasis“). Das Gärtnern geschieht sehr behutsam, allein das Bild ihres leinwandfüllenden Gesichts mit geöffnetem Mund in den erst Erde eingefüllt, die Blume festgedrückt und dann gewässert wird, ist kaum zu ertragen.
Ene-Liis Semper provoziert die Erwartungen der Zuschauer. In der im Special gezeigten Arbeit „Beautiful“ sieht man ihren Oberkörper in einem weißen Sportpullover. Sie folgt den Anweisungen der Stimme des Fotografen aus dem Off wie in einem Modeshooting, das sie am Ende des Films ganz wörtlich nimmt.
Majestoso Mystico von Mark Raidpere zeigt die Diskrepanz im „alltäglichen“ gesellschaftlichen Leben in Stockholm und Tallinn auf sehr persönliche Weise. Die Szenen auf Monitor und Projektion im Ausstellungsraum spielen gleichzeitig: am 26. April 2007. Mark Raidpere dreht während eines Stipendiumsaufenthalts in der Stockholmer Fußgängerzone eine inszenierte Scene mit zwei Straßenmusikern, während sich in seiner Heimatstadt Tallinn der Volkszorn über eine Denkmalsverlegung in bürgerkriegsähnlichen Szenen entlädt. Die als Schock empfundene Tatsache, zu einem geschichtsträchtigen Zeitpunkt nicht anwesend zu sein, bildet die Grundlage dieser Arbeit.
Auch Jaan Toomiks Filme kreisen meist um biografisch geprägte Handlungen. In dichten Bildern zeigt er Begebenheiten, die zu Schüsselerlebnissen werden. In einer frühen Arbeit „Dancing with dad“ tanzt er auf dem Grab seines früh verstorbenen Vaters bis zur Erschöpfung. Die Szene changiert zwischen Respektlosigkeit und Hingabe.
Der in Special gezeigte Film „Oleg“ gehört anders als seine früheren performanceartigen Filmen eher in das Genre des Kurzfilms. Mit Schauspielern dreht Jaan Toomik eine Erinnerung an seinen Freund, der sich während der gemeinsamen Militärdienstzeit das Leben nahm. (Julia Sökeland)